Wirklich edel und niemals rostend?

Durch die gezielte Zugabe verschiedener Elemente und kontrollierte Herstellungsprozesse ist es im Bereich von Eisenmetallen möglich, Produkte stark unterschiedlicher Materialeigenschaften herzustellen. Edelstahl gilt dabei unter Laien typischerweise als der „beste Stahl“. Zudem wird ihm – ungleich zu vielen anderen Eisenmetallwerkstoffen – attestiert, gegen Rost vollständig immun zu sein. Beides ist jedoch häufig eine grobe, teilweise sogar völlig falsche Verallgemeinerung. Die einzige übergreifende Tatsache: Edelstahl ist ein qualitativ hochwertiger Vertreter seiner Materialkategorie. Unterhalb davon gibt es jedoch beträchtliche Unterschiede.

Der Werkstoff Stahl an und für sich

 

Was ist Stahl? Grundsätzlich handelt es sich dabei immer um einen maßgeblich auf dem Element Eisen basierenden Werkstoff, innerhalb dessen Kristallgitter bestimmte andere Elemente einen prozentualen Masseanteil nicht überschreiten.
Die grundlegende Definition, wann ein Eisenwerkstoff als Stahl gilt, ergeht aus der EN 10020:

Stahl gemäß EN 10020

„Werkstoff, dessen Massenanteil an Eisen größer ist als der jedes anderen Elements, dessen Kohlenstoffgehalt im Allgemeinen kleiner als 2 Prozent ist und der andere Elemente enthält. Eine begrenzte Anzahl von Chromstählen kann mehr als 2 Prozent Kohlenstoff enthalten, aber 2 Prozent ist die übliche Grenze zwischen Stahl und Gusseisen.“

Das bedeutet, jeder Stahl ist bereits grundsätzlich eine Legierung. Im einfachsten Fall eine aus Eisen, einem geringen Kohlenstoffanteil und geringer Mengen dritter Elemente. Dies sorgt dafür, dass Stahl – im Unterschied zu Eisen – immer ein schmiedbarer Werkstoff ist.
Allerdings ist ein so reiner Stahl aus Eisen und Kohlenstoff ohne weitere Maßnahmen nicht zu erzielen. Als in der Erdkruste vorhandenes Element ist Eisen fast immer mit anderen Elementen und Verbindungen verunreinigt. Besonders bedeutsam für die Materialeigenschaften und die Definition von Edelstahl sind die beiden Elemente Phosphor und Schwefel. Zum vollständigen Verstehen des „rostfreien“ Edelstahls ist es jedoch nötig, auf das Problem Rost einzugehen.

Was Rost ist und warum er Eisenmetalle befällt

Wenn von Rost die Rede ist, dann ist damit letztlich ein nur bei Eisenmetallen auftretendes Phänomen gemeint: Eine besonders ausgeprägte Reaktion des Eisens mit einem Oxid. Früher wurde dabei ausschließlich (Luft-)Sauerstoff angesprochen, die modernere Definition ist etwas breiter gefasst.
Grundsätzlich können viele Metalle oxidieren. Bei diversen anderen Elementen erfolgt ebenfalls eine Reaktion, wenn sie mit Sauerstoff oder einem anderen Oxid in Kontakt kommen.

Oxidation aus chemisch-physikalischer Sicht

Durch das Vorhandensein eines Oxids werden Atomen eines Stoffs einzelne Elektronen entzogen. Dadurch verringert sich die Elektronendichte und es ändert sich die Ionenladung der Atome. Der Stoff erfährt eine irgendwie geartete Veränderung.

Daher ist Oxidation nicht gleich Oxidation. Zudem können Stoffe ganz unterschiedlich mit Luftsauerstoff reagieren. Bei Aluminium beispielsweise entsteht lediglich eine oberflächliche Schicht Aluminiumoxid. Sie haftet stark am nichtoxidierten Untermaterial und ist beständig. Dadurch sind Aluminiumbauteile vor einer weiteren Oxidation sehr gut geschützt und sowohl technisch als auch umgangssprachlich „rostfrei“.

Anders sieht es bei Eisenmetallen aus. Dort hat die Oxidation eine korrodierende Wirkung. Es bildet sich Rost – dieser Begriff wird fachsprachlich ausschließlich für das Korrosionsprodukt von Eisenmetallen verwendet.

Aufgrund der chemischen Eigenschaften von Eisen hat die Oxidation hier keine Ausbildung einer Schutzschicht zur Folge. Der Werkstoff wird vielmehr Schicht für Schicht zu Eisenoxid umgewandelt und somit einer stark porösen Verbindung.

Dies sorgt dafür, dass ein Eisenwerkstoff allmählich regelrecht „zerfressen“ wird: Er verliert seine integrale Stabilität und sämtliche positiven Eigenschaften. Vergeht genügend Zeit, können selbst massive Bauteile aus Eisenmetall zu einem losen Haufen grobkörniger Rostpartikel korrodieren.

Daraus ergeben sich zwei Möglichkeiten des Rostschutzes:

  • Abkapselung
    Das Eisenmetall wird mit einem anderen Stoff als Schutzschicht überzogen. Beispielsweise ein Lack oder eine chemische Methode wie etwa das Parkerisieren. Dies schützt selbst einfachste Eisenwerkstoffe gut. Nachteilig ist jedoch, dass der Schutz von der Haltbarkeit dieser Schicht abhängig ist.
  • Legierung
    Dem Eisenwerkstoff – meist Stahl – werden bei der Herstellung verschiedene Legierungszusätze hinzugegeben. Diese hemmen Rost im Ansatz; und zwar innerhalb des gesamten Werkstoffs.

Mit diesem wichtigen Hintergrundwissen ist es nun möglich, auf den Edelstahl einzugehen.

Edelstahl: kein Edelmetall, aber ein edler Stahl

Der deutschsprachige Begriff „Edelstahl“ wird zwar in den diesbezüglichen Normen verwendet, jedoch hat dies einen folgenschweren Nachteil: Manche Laien glauben, es würde sich hierbei um ein Edelmetall handeln. Dies ist jedoch gänzlich falsch.
Edelmetalle sind ausschließlich eine kleine Gruppe von Elementen, die bei Raumtemperatur nicht an Luft oder Wasser korrodieren. Dies sind

  • Gold,
  • Iridium,
  • Osmium,
  • Palladium,
  • Platin,
  • Quecksilber,
  • Rhodium,
  • Ruthenium und
  • Silber

sowie einige wenige kurzlebige radioaktive Elemente. Eisen, und somit alle darauf aufbauenden Werkstoffe, können kein Edelmetall sein – auch nicht Edelstahl.

Vielmehr entsteht das „Edle“ an diesem Stahl schlicht deshalb, weil die beiden bereits angesprochenen Elemente Schwefel und Phosphor sowie weitere unerwünschte Bestandteile bei der Stahlherstellung unter ein bestimmtes Niveau gebracht werden. Im Falle von Schwefel und Phosphor darf deren Masseanteil im Edelstahl höchstens 0,025 Prozent betragen. Je nach genauer Stahlsorte gibt es ähnliche Obergrenzen für andere sogenannte Eisenbegleiter.
Damit steht fest: „Edelstahl“ ist ohne weitere Angaben lediglich ein chemisch besonders reiner Stahl.
Jedoch steht diese Reinheit in keinerlei Zusammenhang mit der Rostanfälligkeit. Edelstahl kann in seinen schwachlegierten Basisversionen genauso stark und schnell rosten, wie es bei jedem anderen Eisenwerkstoff der Fall ist. Anders verhält es sich nur bei denjenigen Edelstählen, die durch Zugabe von besonderen Legierungsstoffen weniger anfällig für die korrodierenden Eigenschaften von Sauerstoff und anderen Oxiden sind.

Die Behauptung, dass Edelstahl generell „rostfrei“, „rostträge“ oder anderweitig weniger anfällig sei,
ist ohne weitere Informationen zu verallgemeinernd.

Leider ist diese verallgemeinernde Ansichtsweise jedoch häufig vertreten – selbst bei Profis. Daher hat sich bei vielen Menschen der Gedanke festgesetzt, Edelstahl sei grundsätzlich nichtrostend und ein Synonym für „rostfreier Stahl“. Auf technischer Ebene sind jedoch alle Edelstähle in unlegierte und legierte Gruppen unterteilt. Erstere finden typischerweise dann Verwendung, wenn für das abschließende Produkt noch eine Wärmebehandlung nötig ist. Und nur letztere dürfen überhaupt das Prädikat „nichtrostend“ tragen.

Zwar sind viele hergestellte Edelstähle durch ihre Legierungsbestandteile tatsächlich nur wenig anfällig für Rost. Jedoch ist „Edelstahl“ allein niemals ein technisch korrektes Synonym für einen nichtrostenden Stahl.

Rostfrei, rostträge oder nichtrostend?

Sowohl herkömmlicher Stahl als auch Edelstahl können in einer Weise legiert werden, die eine Oxidation erschwert. Daraus ergibt sich ein weiterer wichtiger Grundsatz:

Die Neigung eines Stahls, stärker oder schwächer zu rosten, ist losgelöst von seiner Reinheit zu betrachten. Nichtrostende Stähle sind deshalb eine Materialgruppe, in der sich sowohl herkömmliche als auch Edelstähle befinden.

Dies ist in der Praxis ebenfalls unhaltbar. Es gilt deshalb:

„Rostfrei“ ist eine technisch falsche Bezeichnung. Denn selbst hochlegierte Stähle können rosten. Außerdem ist jeder Stahl, ungeachtet seiner Bestandteile und Güte, so lange „frei von Rost“, bis Sauerstoff genügend Zeit hatte, um eine Oxidation zu starten.

Grundsätzlich können deshalb sämtliche diesbezüglichen Anstrengungen nur die Rostneigung eines Stahls verringern. Es wird also durch eine gezielte Legierung lediglich der Zeitraum deutlich verlängert, bis Rost auftritt und sich negativ auswirkt. Auch hier gilt jedoch, dass mit genügend Zeit ein rostfreier Stahl ebenfalls komplett zu Eisenoxid umgewandelt werden kann.
Technisch sprechen sämtliche deutschen Normen von „nichtrostenden Stählen“. In der Branche existieren jedoch noch zahlreiche weitere Begrifflichkeiten. Teils handelt es sich um Markennamen, teils um Abkürzungen – mitunter aus anderen Sprachen. Die wichtigsten in alphabetischer Sortierung:

  • Chromstahl: Der einzige deutschsprachige Begriff, der sowohl einen Bezug auf den wichtigsten Legierungsstoff zur Herstellung einer Rostträgheit nimmt als auch gleichzeitig keine übertriebenen oder falschen Behauptungen aufstellt.
  • Edelstahl rostfrei oder rostfreier Edelstahl: Hierbei handelt es sich um jene Untergruppe der Edelstähle, bei denen durch gezielte Legierung die Rostanfälligkeit vermindert wurde.
  • Inox-Stahl: Inox steht unter anderem im Englischen und romanischen Sprachen als Abkürzung für „inoxidable“, also „nicht oxidierbar“ und somit nichtrostend.
  • Nirosta: Die Abkürzung steht für nichtrostender Stahl. Nirosta ist ein eingetragener Markenname der heutigen Outokumpu Nirosta GmbH – zuvor ThyssenKrupp Nirosta.
  • Stainless: Die englischsprachige Bezeichnung für „Makellos“. Obwohl nicht direkt auf Stahl hinweisend, hat sich dieser Begriff als wichtigste internationale Bezeichnung für alle nichtrostenden Stähle etabliert und ist in der anglophonen Welt der Gattungsbegriff für nichtrostende Stähle.
  • Was den technischen und physikalischen Realitäten solcher Stähle jedoch am nächsten kommt, ist die Bezeichnung „rostträger Stahl“ – also ein Stahl, der zwar rosten kann, bei dem dies jedoch bedeutend langsamer geschieht als bei anderen Stahlsorten.

Was einen Stahl rostträge macht – und warum es nicht alle Stähle sind

Sobald ein Eisenmetall bei Raumtemperatur mit Sauerstoff in Berührung kommt, setzt bereits der Vorgang der Oxidation und Korrosion ein. Unter diesem Aspekt können nur gezielte Legierungen diesen Prozess verlangsamen. Tatsächlich genügt dazu jedoch nur ein Element: Chrom.
Damit ein Stahl die Neigung zu schnellem Rosten verliert, muss er einen Masseanteil von mindestens 10,5 Prozent Chrom enthalten – ohne an dieser Stelle auf die hochkomplexen Kristallgefüge innerhalb des Metalls einzugehen. Ein so legierter Stahl verhält sich bei Kontakt mit Sauerstoff ähnlich wie Aluminium: Es bildet sich an der Oberfläche eine Schicht aus Chromoxid, die das darunterliegende Metall vor einer weiteren Oxidation schützt.
Das bedeutet: Rostträger oder -freier Stahl kann zwar oxidieren, aber nur deutlich langsamer rosten.
Allerdings gehört ein reiner Chromstahl aus heutiger Sicht eher zu den rostträgen Basisstählen. Vor allem

  • Mangan,
  • Molybdän,
  • Nickel und
  • Niob

können die Rostbeständigkeit teilweise beträchtlich erhöhen. Außerdem lassen sie eine präzisere Steuerung weiterer Materialeigenschaften des stählernen Endprodukts zu. Infolgedessen existieren aktuell über 150 verschiedene Stahlsorten, die zu den nichtrostenden Stählen gehören.
Die Rostträgheit ist jedoch nur eine von vielen Eigenschaften dieser Stähle. Durch die jeweiligen Legierungsbestandteile und ihre Mischungsverhältnisse stellen sich nämlich weitere vorteilhafte Materialeigenschaften ein:

Neutralität

Aus dem Stahl findet keine nennenswerte Migration von Bestandteilen nach außen statt. Daher sind viele rostträge Stähle geschmacksneutral, reaktionsträge, nicht toxisch, säurebeständig und deshalb beliebt für Anwendungen mit hohen Hygieneansprüchen.

Wirtschaftlichkeit

Hochlegierte Stähle sind zwar teurer in der Herstellung. Sie gleichen diesen Nachteil jedoch durch eine im Vergleich mit anderen Stählen deutlich längere Lebensdauer aus. Zudem entstehen praktisch keine Wartungskosten, da keine Versiegelungen nötig sind.

Anmutung

Rostträge Stähle behalten durch die dünne Oxidschicht sehr lange eine gleichbleibende „metallische“ Optik. Dadurch sind sie sehr beliebt bei Anwendungen, für die eine solche Anmutung wichtig ist.

Allerdings gibt es ebenfalls gute Gründe, warum rostträge Stähle nicht grundsätzlich Verwendung finden. Vielfach ist das dem Herstellungspreis geschuldet: Dort, wo die Eigenschaften solcher Stähle nicht nötig sind, wäre eine Nutzung unwirtschaftlich. Schwerwiegender ist, dass die für die Rostträgheit verantwortlichen Legierungsbestandteile und deren Anteilsverhältnis den Stahl in seinen Eigenschaften verändern – Eigenschaften, die jedoch für das Endprodukt mitunter vorteilhaft sein können.
Ein sehr gutes Beispiel hierfür ist der Bereich Messer und artverwandte Klingen, denn es gibt sowohl solche, die aus rostträgen Stählen bestehen als auch Exemplare, bei denen herkömmliche Stähle mit hohem Kohlenstoffanteil bis zu 2,1 Prozent genutzt werden (sogenannter Kohlenstoff- oder Carbonstahl). Der Vergleich verdeutlicht es:

Messer aus rostträgen und Kohlenstoff-Stählen im Vergleich

Rostträge Stähle

  • gleichbleibende Anmutung
  • mittlerer erreichbarer Schärfegrad
  • geringere Schnitthaltigkeit
  • schwierigere Schärfbarkeit
  • absolute Geschmacksneutralität

Kohlenstoffstähle

  • Ausbildung einer „Patina“
  • hoher erreichbarer Schärfegrad
  • höhere Schnitthaltigkeit
  • sehr einfache Schärfbarkeit
  • Beeinflussung des Geschmacks

Abseits von Anwendungen, bei denen die Nutzung rostträger Stähle für Klingen vorgeschrieben ist (beispielsweise in der Lebensmittelverarbeitung oder der Medizin), gibt es daher sehr leidenschaftlich argumentierende Anhänger beider Stahlsorten.
Ähnlich sieht es bei vielen anderen Anwendungsbereichen aus. Ob rostträger oder rostender Stahl benutzt wird, hängt wie immer von den Kosten ab und davon, was der Stahl leisten muss. Nur eines ist dabei einheitlich: Es muss nicht automatisch Edelstahl sein, wenn ein Stahlbauteil selbst nach vielen Jahren noch wie neu aussieht. Und umgekehrt kann selbst ein teurer Edelstahl je nach Art ebenso rosten wie ein billiges Moniereisen aus recycelten Stählen zweifelhafter Zusammensetzung.

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Quellen:

Beuth Verlag: Stahl – Einteilung und Sortenhalt (Begriffsbestimmung (nach DIN EN 10020)
https://www.comparial.com/de/stahleigenschaften/bezeichnungen-der-staehle-nach-din-en