Deutschlands Zentrum für scharfe Werkzeuge aus Metall

Viele Städte weltweit werden mit bestimmten Produkten verbunden, die dort ihren Ursprung oder einen prägendein Eindruck hinterlassen haben. Beispiele sind Nordhausen im Harz mit seinen Branntweinen oder Glashütte, die sächsische Uhrenstadt.

Geht es um Messer und andere Schneidwaren, dann gibt es in Deutschland (und weit über die Grenzen hinaus) keinen berühmteren Ort als jene zwischen Düsseldorf, Wuppertal und Leverkusen eingebettete Großstadt namens Solingen – bereits seit Jahrhunderten nicht weniger als Deutschlands Zentrum für die Herstellung von Klingen aller Art.

Die Bezeichnung „Klingenstadt“

Bereits beim Blick auf das Ortsschild wird klar, welche Rolle Klingen hier spielen. Oberhalb des Stadtnamens findet sich dort der Zusatz Klingenstadt.

Diese Ergänzung machte ein Gesetz möglich: 2011 beschloss das nordrhein-westfälische Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung, dass Städte und Gemeinden im Bundesland aus Gründen der Identitätsstiftung Zusatzbezeichnungen auf den Ortsschildern anbringen dürfen. Dazu ist ein Beschluss mit Drei-Viertel-Mehrheit nötig, der anschließend vom Ministerium kurz gegengeprüft wird und so genehmigt werden kann.

Solingen gehörte zu den ersten Städten in NRW, die von der Möglichkeit Gebrauch machten. Sowohl die Ortsschilder als auch Logos im offiziellen Schriftverkehr enthalten nun die Bezeichnung.

Die Anfänge der Metallverarbeitung in Solingen

Die Ursprünge der Klingenherstellung gehen weit in die Geschichte Solingens zurück, noch deutlich weiter als etwa das deutsche Reinheitsgebot (1516). Die Anfänge lassen sich auf ca. 600 bis 700 n.Chr. datieren.

Diese Punkte charakterisierten das Gebiet des damaligen Solingens:

  • Die gesamte Region war von Wald bedeckt. Neben den beiden größeren Flüssen (Wupper und Itter) durchzogen zahlreiche kleinere Bäche das Gebiet.
  • Zwar nahe der entsprechenden Grenze gelegen, war Solingen dennoch niemals römisch besiedelt.
  • Die Region war nach heutigem Stand nicht von der Völkerwanderung betroffen.

Die vielen Fließgewässer und die reichhaltigen Baumbestände sorgten für beste Ausgangsbedingungen für die Herstellung von Eisen und Stahl sowie den Antrieb von Schleifsteinen.

Wann und wie im damaligen Solingen (der Ursprung des Stadtnamens ist unbekannt) erstmals Schneidwaren hergestellt wurden, ist Gegenstand mehrerer Legenden. Eine besagt, Karl der Große (747 oder 748 bis 814) habe schwäbische Schleifer in die Gegend geholt, um im nördlichen Bereich seines Großreiches eine Metallbearbeitung zu etablieren. Dies ist wissenschaftlich nicht verifiziert.

Klar ist jedoch folgendes:

  • Die Fähigkeit zur Herstellung und Verarbeitung von Eisen und Stahl war damals nur wenigen Personen im Detail bekannt.
  • Insbesondere für die Produktion von Waffen hatte das Wissen um sowohl die Materialien als auch die Be- und Verarbeitungstechniken eine strategisch wichtige Bedeutung.

Um 1060 wurden die Burg Berge und knapp hundert Jahre später das Schloss Burg als Stammsitze des über Jahrhunderte für die Region so wichtigen Adelsgeschlechts von Berg errichtet. Bereits zu diesem Zeitpunkt wurden in dem Gebiet bereits Klingen gefertigt – wenngleich die urkundlichen Nachweise erst um das Jahr 1200 ansetzen.

Selbst mit damaligen Transportmitteln war die wichtige Handelsmetropole Köln von Solingen aus gut erreichbar. So ergaben sich besonders gute Ausgangsbedingungen, um aus dem Gebiet mit verstreuten Gehöften und Werkstätten inmitten der Wälder eines der vielleicht ersten und sicherlich über Jahrhunderte bedeutendsten Metallindustriezentren Europas zu machen.

Förderung und Gastarbeiter: Solingen wird zur Klingenmetropole

Im Spätmittelalter (1250 bis 1450) hatte sich die Grafschaft Berg (ab 1380 Herzogtum) sowie das gleichnamige Adelsgeschlecht seit einigen Jahrhunderten in der Region etabliert und es gab gute Beziehungen, unter anderem nach Köln. Das Herrschergeschlecht verstand sich dabei sehr gut auf wirtschaftliche Zusammenhänge.

So wurde Solingen zusammen mit den umliegenden Dörfern in dieser Zeit nicht nur wirtschaftlich gut aufgestellt, sondern konnte sich spezialisieren:

  • Das Geschlecht von Berg förderte das Gebiet stark durch die Vergabe von diversen Rechten und Privilegien, die es anderswo nicht gab. Sie etablierten eine „wirtschaftsliberale Grundhaltung“. Dies zog Schmiede, Schleifer und andere Metall- und Schneidwarenspezialisten von nah und fern an. 1374 erhielt Solingen Stadtrechte.
  • Im Gegensatz zu anderen Städten waren die ortsansässigen Handwerkerzünfte hier frei von kirchlicher Beeinflussung und deshalb hauptsächlich sich selbst unterworfen.
  • Nicht zuletzt wurden in diesem Zeitraum nachweisbar Handwerker aus dem süddeutschen Raum angeworben, insbesondere Schwertschmiede.

Das alles ließ die Region gegen Ende des Mittelalters zu einem regelrechten „Silicon Valley der Stahlwarenfertigung“ werden. Verstärkt wurde der Effekt, als ab Anfang der 1400er diverse Gruppen von Metallhandwerkern von den Herzogen von Berg mit umfassenden Privilegien bedacht wurden. Die Folge: Das Solinger Gebiet etablierte sich als Europas wichtigstes Schneidwarenzentren, nur noch vergleichbar mit dem englischen Sheffield.

Eines hatten die Herzoge jedoch lange Zeit vernachlässigt: den Wert guter Eigenwerbung. Das allerdings holten sie nunmehr nach und begründeten den exzellenten Ruf, der Solingen nicht nur bis heute begleitet, sondern sich auch auf den Ortschildern wiederfindet.

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Verschiedene Dokumentationen über die Solinger Schneidwarenindustrie und die unterschiedlichen Handwerke

Qualität braucht einen Namen: Solingen etabliert sich als Marke

Wirtschaftlich trieb das Geschlecht von Berg die Klingenproduktion in der Region voran. Diese wurden im großen Stil im nahen Köln verkauft und waren deshalb weithin zunächst als Kölnische Schwerter bekannt. Auch die Stadt am Rhein beherbergte bereits im Hochmittelalter viele Schmiede. Man darf mutmaßen, dass die Kölner Handelsbezeichnung als wirksamer angesehen wurde als der Ruf der noch weniger bekannten Stadt.

Zu Beginn der 1570er Jahre erhielten die Solinger Messermacher ebenfalls Privilegien, nachdem die Schleifer damit bereits 1401 den Anfang gemacht hatten. Zudem war Solingens Schneidwarenindustrie um ein Vielfaches größer, vielfältiger und hochwertiger geworden als jene in Köln. So erreichte die Klingenstadt überregional einen eigenständigen hohen Bekanntheitsgrad.

Mit der Vergabe der Messermacherprivilegien ging daher eine Auflage einher: Die Hersteller mussten ihre Klingen künftig deutlich beschriften, damit die Herkunft klar war. ME FECIT SOLINGEN stand künftig erst auf allen Messern und dann bald auch auf sämtlichen anderen Klingen, die hier entstanden waren – „Solingen schuf mich“.

Aus marketing-geschichtlicher Betrachtung war das nicht weniger als ein Meilenstein der regionalbezogenen Werbung – der Effekt hätte größer kaum sein können. In den Folgejahren, und erst recht mit Beginn des Dreißigjährigen Krieges (1618 bis 1648), wurde Me Fecit Solingen zu einem bekannten Garanten für Klingen höchster Güte in Sachen Qualität, Langlebigkeit und Schärfe. Spätestens damit wurde der Ruf der Stadt und seiner Produkte endgültig zementiert.

Exkurs: So arbeiteten Solingens Schneidwarenmacher

Bis ins 19. Jahrhundert hinein stammte das Erz für Solingens Klingenspezialisten aus dem Siegerland. Gearbeitet wurde je nach Handwerk streng getrennt, aber sinnvoll miteinander verzahnt.

Die Schmiede (aufgeteilt in verschiedene Produktbereiche (Messer, Schwerter, Äxte/Beile und Scheren) sowie die Schleifer arbeiteten vornehmlich in kleinen Werkstätten – bei den Schleifern als Kotten bezeichnet und stets in unmittelbarer Gewässernähe gelegen, um die Antriebskraft zu nutzen.

Die Härter und Reider (Handwerker, die Griffe und Ähnliches fertigten) lebten und arbeiteten hingegen in kleinen Weilern, die in den höheren Lagen um die Stadt herum siedelten.

Dieser Ruf hielt komplett durch die Industrialisierung an. Er ließ Solingen so stark prosperieren wie nur wenige andere Städte. Bereits in den 1700er Jahren wurden die Schneidwaren nicht nur sprichwörtlich „in die ganze Welt“ exportiert. Der Erfolg aus Spezialisierung, Rationalisierung und Industrialisierung gestattete es, Klingen zu fertigen, die trotz der hohen Güte preislich günstig waren.

Das sorgte für die nächste Stufe des „Qualitätsnamens Solingen“: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden viele deutsche Waren unter anderem nach Großbritannien exportiert. Einerseits handelte es sich dabei oft um Plagiate minderer Qualität. Andererseits machten die „echten“ Solinger Schneidwaren den britischen Produkten starke Konkurrenz – insbesondere jenen aus Sheffield.

Zum Schutz der eigenen Industrie und der Verbraucher erließ die britische Krone deshalb 1887 den Befehl, alle aus Deutschland kommenden Waren mit MADE IN GERMANY zu kennzeichnen. Dieser Merchandise Marks Act erwies sich als Bumerang. Deutschland startete eine Qualitätsoffensive und die eigentlich abwertend gedachte Bezeichnung wurde zum weltweiten Gütesiegel auch für die Solinger Klingen.

Herausforderungen im 20. Jahrhundert

Als jedoch der Erste Weltkrieg (1914 bis 1918) begann, wurden nur wenige andere deutsche Städte wirtschaftlich so sehr mitgenommen:

  • Viele der Handwerker und Fabrikarbeiter wurden eingezogen.
  • Deutschland konnte kaum noch Waren exportieren, wodurch Solingen von einem Großteil seiner Märkte entkoppelt wurde.
  • Deshalb und aus weiteren kriegsbedingten Gründen bauten andere Länder eigene Schneidwarenzentren auf.
  • Ferner gelangten gerade im Ausland immer mehr Plagiate in Umlauf, die den guten Namen Solinger Schneidwaren verwässerten.

Nach dem ersten Weltkrieg ging es der Stadt deshalb lange Zeit wirtschaftlich schlecht. 1938 erließ das Reichswirtschaftsministerium deshalb das Gesetz zum Schutze des Namens Solingen. Zwar wurde die Verordnung 1994 ersetzt, der Wesenskern blieb aber bei der nachfolgenden Solingenverordnung gleich: Weltweit ist Made in Solingen bzw. nur Solingen der einzige geschützte Städtename.

Exkurs: Die heutige Solingenverordnung im Wortlaut

§ 1: Der Name Solingen darf im geschäftlichen Verkehr nur für solche Schneidwaren benutzt werden, die

  1. in allen wesentlichen Herstellungsstufen innerhalb des Solinger Industriegebiets bearbeitet und fertiggestellt worden sind und
  2. nach Rohstoff und Bearbeitung geeignet sind, ihren arteigenen Verwendungszweck zu erfüllen.

§ 2: Das Solinger Industriegebiet umfasst das Gebiet der kreisfreien Stadt Solingen und das Gebiet der im Kreis Mettmann gelegenen Stadt Haan.

§ 3: Schneidwaren im Sinne des § 1 sind insbesondere:

  1. Scheren, Messer und Klingen aller Art,
  2. Bestecke aller Art und Teile von solchen,
  3. Tafelhilfsgeräte, wie Tortenheber, Gebäckzangen, Zuckerzangen, Traubenscheren und Vorleger,
  4. Tafelwerkzeuge, wie Zigarrenabschneider, Brieföffner, Nussknacker und Korkenzieher, sowie schneidende Küchenwerkzeuge wie Dosenöffner und Messerschärfer,
  5. Rasiermesser, Rasierklingen und Rasierapparate,
  6. Haarschneidemaschinen und Schermaschinen,
  7. Hand- und Fußpflegegeräte, wie Nagelfeilen, Haut- und Nagelzangen, Nagelknipser und Pinzetten,
  8. blanke Waffen aller Art.

Solingen und seine Schneidwarenindustrie heute

Viele Städte begründen ihren Bekanntheitsgrad auf dem Ruhm längst vergangener Tage. Nach dem Zweiten Weltkrieg (1939 bis 1945) gelang es der Stadt Solingen jedoch, ihre Schneidwarenindustrie einerseits stark zu modernisieren und andererseits trotz des allgemeinen Niedergangs von Metallherstellung und -verarbeitung in vielen westlichen Nationen zu behaupten.

Zwar wurden Solingens Messermacher durch die Globalisierung getroffen. Dennoch ist die Stadt nach wie vor die Heimat zahlreicher Firmen mit internationaler Bekanntheit. Insgesamt finden sich hier nicht weniger als 150 Stück – und somit rund 90 Prozent aller deutschen Hersteller von Schneidwaren und Küchenbesteck.

Der größte davon dürfte Wilkinson Sword sein. Der britische Rasur-Gigant hat in Solingen nicht nur ein Werk, sondern auch die Deutschlandzentrale.

Einige weitere wichtige Firmen:

  • Franz Güde GmbH: Primär Hersteller von Küchenmessern. 1931 wurden im Unternehmen die weltersten Brotmesser mit Wellenschliff gefertigt.
  • Böker Baumwerk GmbH: Großer Hersteller für Gebrauchsmesser sowie Koch- und Rasiermesser.
  • Martor KG: Spezialist für gewerbliche Sicherheitsmesser.
  • Otter-Messer GmbH: Manufaktur hauptsächlich für Taschenmesser, darunter das seit 1867 ununterbrochen produzierte Merkator-Messer – ein Klappmesser vollständig aus Metall.
  • Robert Herder GmbH & Co. KG: Hersteller insbesondere der international bekannten Windmühlen-Messer(-serie) für die Küchenarbeit.
  • Wüsthof GmbH: Hersteller hochwertiger Küchenmesser.
  • Zwilling J. A. Henckels AG: Spezialist unter anderem für Küchenmesser, Scheren und Besteck.

Dies ist lediglich eine kurze Liste der besonders bekannten Namen. Insgesamt sind es noch deutlich mehr Firmen, die dafür Sorge tragen, Solingen als Klingenstadt Rechnung zu tragen.

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