Von Rennöfen und Eisenschwämmen

Wenn der Mensch heute Stahl herstellt, dann handelt es sich dabei um einen komplizierten industrialisierten Prozess. Zwar hat dieser nach wie vor etwas Archaisches an sich, allerdings ist er in seiner Durchführung nicht weniger technisiert als beispielsweise die Herstellung eines Autos.

Die heutige Situation ist das Ergebnis eines mehrere Jahrtausende überspannenden Erfahrungsprozesses. Tatsächlich wurde die Herstellung, wie wir sie kennen, erst mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert ersonnen und perfektioniert.

Eisenmetalle zeichnen sich durch zwei besondere Vorteile aus:

  • Die Herstellung ist, was die Inhaltsstoffe anbelangt, absolut wiederholgenau, selbst über viele Serien hinweg. Es lässt sich deshalb eine gleichbleibende Qualität garantieren.
  • Eisen und Stähle lassen sich in unterschiedlichsten Güteklassen Heute existieren allein rund 5.000 unterschiedliche Stahlsorten. Dadurch kann für zahllose Einsatzzwecke immer das exakt passende Eisenmetall bereitgestellt werden.

Noch in den 1700er Jahren hingegen glich die Herstellung von Eisen und Stahl in ihren Grundprinzipien verblüffend der Herangehensweise, die bereits unsere Vorfahren praktizierten – und das war nicht wiederholgenau, sondern eine ausgesprochen harte Arbeit.

Das Material, das vom Himmel fiel

Eisen ist sowohl ein chemisches Element als auch ein Werkstoff. Vom Stahl unterscheidet es sich in der Form, dass letzterer nur noch höchstens zwei Prozent Kohlenstoff enthält – und gegebenenfalls noch andere Legierungsbestandteile.

Die größte Herausforderung für unsere Vorfahren bestand jedoch darin, überhaupt erst einmal die Existenz eines solchen Elements in der Erdkruste festzustellen. Denn reines Eisen kommt auf der Erde praktisch nicht vor. In der überwiegenden Mehrheit findet es sich lediglich in Gesteinen gebunden.

An diesem Punkt bekommt die Frühgeschichte der Stahlherstellung etwas Mythisches: Das einzige Eisen auf der Erde, das nicht in Gestein gebunden ist, stammt aus dem Weltraum – in Form von Meteoriten aus Eisen und Nickel. Die ganze Bronzezeit über stammten fast sämtliche Eisenwerkstoffe aus solchen außerirdischen Quellen.

Das Material wurde mit Stein- und Bronzewerkzeugen mühselig extrahiert und anschließend in Form gebracht. Nicht umsonst nannten die Ägypter das Material biz-n-pt und die Sumerer an-bar„Metall vom Himmel“.

Die frühen nah- und mittelöstlichen Kulturen waren es auch, die als erste damit begannen, Gegenstände aus dem extraterrestrischen Material anzufertigen. Der heute wichtigste Nachweis für die damalige Vorgehensweise stammt aus der Archäologie: 1922 entdeckte der britische Ägyptologe Howard Carter das ungeöffnete Grab von König Tutanchamun. Unter den zahlreichen Grabbeigaben befand sich ein eiserner Dolch. Doch erst in späteren Jahren fanden Labor-Scans über die Zusammensetzung des Metalls heraus, woher es stammte – ebenfalls aus dem All.

Entdeckung weiterer Eisenquellen

Das Eisen aus Meteoriten ist relativ rein und lässt sich deshalb – für vorzeitliche Verhältnisse – relativ leicht extrahieren und vor allem nutzen. Jedoch sind solche Eisen-Nickel-Meteoriten vergleichsweise selten. Entsprechend gering war die Menge des Metalls.

Allerdings hatten unsere Vorfahren sofort erkannt, welche großen Vorteile das Material gegenüber den anderen, damals bekannten Metallen hatte – allen voran Bronze und ähnliche Kupferwerkstoffe:

  • Im Grundzustand ist Eisen zäher und nach dem Erhitzen und anschließenden Abschrecken härtbar.
  • Das Material ist Insbesondere für die Fertigung leistungsfähiger Werkzeuge und Waffen geeignet.

Für die damaligen Kulturen war Eisen deshalb extrem begehrt. Wie unsere Vorfahren jedoch genau darauf aufmerksam wurden, dass in ihren heimischen Böden Eisenvorkommen lagerten, ist in der heutigen Geschichtswissenschaft ein wenig umstritten. Höchstwahrscheinlich spielte der Zufall eine Rolle – wie so häufig in unserer Geschichte.

Es muss sich um eine Kultur gehandelt haben, die bereits Eisen kannte und daher erkennen konnte, welcher Schatz sich in ihrem Boden befand. Mögliche Theorien dazu sind:

  • Nach sehr heißen Feuern, die unabsichtlich auf eisenerzhaltigen Böden brannten, wurden nach Entfernen der Asche kleine Eisenpartikel sichtbar, die sich gebildet hatten. In dem Fall hatte das Holzfeuer nicht nur den Stein gebrochen, sondern der im Holz befindliche Kohlenstoff dem Eisenoxid den Sauerstoff entzogen.
  • Blitzeinschläge in eisenhaltigem Gestein sorgten durch die enorme Hitzeentwicklung für eine Aufschmelzung. Danach wurde an den Einschlagstellen Eisen im Boden vorgefunden.
  • Nach Vulkanausbrüchen wurden in den Überresten ebenfalls Eisenpartikel entdeckt.

Der Rennofen zur Eisengewinnung

Welche der oben genannten Theorien auch zutreffen mag – im letzten Jahrtausend vor der Zeitenwende hatten nah- und mittelöstliche Kulturen nach heutigem Wissen das Vorhandensein von Eisenerz im Boden erkannt. Außerdem wussten sie um den Zusammenhang von Hitzeeinwirkung und müssen bereits den Kamineffekt und den Blasebalg gekannt haben.

All diese Faktoren sind wichtig, denn nur mit ihrer Kenntnis lässt sich die Erfindung des ersten Hochofens der Menschheitsgeschichte erklären: der sogenannte Rennofen.

Dabei handelt es sich um einen kleinen Turm, der

  • entweder komplett aus Lehm gefertigt oder aus Lehmziegeln gemauert,
  • maximal ungefähr mannshoch,
  • nach oben hin etwas konisch zulaufend und
  • im unteren Viertel mit Löchern für die Luftzufuhr versehen war

Die Konstruktion war nicht wirklich komplex, doch der Ofen hatte für den Verlauf der menschlichen Geschichte einen großen Einfluss. Tatsächlich war der Rennofen bis zum Beginn der Industrialisierung die mit Abstand bedeutendste Hochofenbauform und somit die wichtigste Quelle für die Eisengewinnung – und dadurch letztlich für die Herstellung von Stahl.

Germanen und Wikinger nutzten ihn ebenso, wie die Römer und Griechen. Das ganze Mittelalter wäre ohne den Rennofen deutlich anders verlaufen. Denn nicht zuletzt wurden Waffen wie Dolche, Musketen und Kanonen bis in den Dreißigjährigen Krieg und die amerikanische Revolution hinein unter der Zuhilfenahme von Rennöfen gefertigt.

Dabei war die Nutzung kaum komplexer als das Anfertigen des Ofens selbst. Nachdem er gebaut war, musste der Lehm zunächst ein bis zwei Wochen an der Luft trocknen. Dann wurde der Ofen, der zu diesem Zeitpunkt oft noch ein großes Fenster an der untersten Stelle hatte, vorsichtig durch Feuer trockengeheizt.

Danach begann der eigentliche Prozess:

  • Der Ofen wurde schichtweise mit zerkleinertem Eisenerz und Holzkohle befüllt. Bereits frühzeitig hatte der Mensch erkannt, dass mit diesem Brennstoff deutlich höhere Temperaturen erzielt werden können.
  • Nach dem Anzünden wurde – sofern vorhanden – die große seitliche Öffnung verschlossen. Jetzt verblieb nur noch das Loch für die kontrollierte Luftzufuhr. Bei kleinen Rennöfen wurde dort ein Blasebalg angeschlossen, bei größeren genügte der Kamineffekt.
  • Im Ofeninneren entstand nun eine Temperatur zwischen 1.100 und 1.400° C. Das genügte nicht, um Eisen aufzuschmelzen (der Schmelzpunkt liegt bei 1.538° C). Die Hitze genügte jedoch um den Sauerstoffgehalt im Eisenoxid zu reduzieren und das umgebende Gestein aufzubrechen.
  • Über den Verlauf des Prozesses rann die verflüssigte Schlacke aus dem Ofen heraus – oft in eine extra dafür angelegte Grube neben dem Ofen. Hierher rührt auch der Name: Rennen stammt in diesem Zusammenhang von Rinnen. Also ein Ofen, aus dem die Schlacke hinausrinnt.

Bei einem Rennofen in damals üblicher Größe dauerte der Verbrennungsprozess einige wenige Stunden. Danach ließ man ihn auskühlen.

Die entstandenen Überreste hatten mit modernem Reineisen noch nicht viel gemeinsam: Es verblieben schwammige, mit zahlreichen Poren durchzogene Klumpen Roheisen. Sie waren mit den Resten von Holzkohle und Schlacke durchsetzt und hatten keine optische Gemeinsamkeit mit den Produkten, die daraus hergestellt wurden.

Tatsächlich waren diese Klumpen, die Fachleute als Eisenluppen kennen, nicht einmal sonderlich groß. Selbst mittelalterliche (also schon recht weit entwickelte) Rennöfen, die mit wasserkraftbetriebenen Blasebälgen belüftet wurden, konnten dem Eisenerz höchstens ein Drittel seines Metallgehalts entziehen.

Eines allerdings war besonders an diesen verunreinigten Metallklumpen: Da sie nicht völlig aufgeschmolzen waren, blieben sie weiterhin schmiedbar. Hätten die Ofenbetreiber die Schmelztemperatur von Eisen überschritten und es verflüssigt, wäre es als Gusseisen aus dem Ofen geronnen. Dieses Material war mit den damaligen Methoden nicht zu bearbeiten und wäre so unbrauchbar gewesen – denn Gusseisen ist spröde und lässt sich nicht schmieden.

Für die Menschen früherer Jahrhunderte war das jedoch essenziell wichtig. Sie brauchten das Eisen, um Werkzeuge, Waffen, Rüstungen und Bauteile anzufertigen. Für diese Arbeiten war nach den damaligen „Eisenkochern“ eine weitere Person von elementarer Bedeutung:

Der Schmied

Typischerweise wurden damals mehrere Rennöfen parallel betrieben. Außerdem wurde die Eisenluppe mehrerer Serien gesammelt und zum Schmied transportiert.

Diesen Beruf gab es tatsächlich schon, bevor der Mensch Eisen verarbeitete. Schließlich wurden zuvor bereits andere Metalle genutzt. Ohne die Arbeit der Schmiede wäre die Eisenluppe jedoch nur ein unbrauchbarer Klumpen geblieben. Ihre Tätigkeit war dabei gleichzeitig sehr schwer und anspruchsvoll:

  • Die verunreinigte und spröde Luppe wurde erneut in einem Schmiedefeuer erhitzt. Das wurde ebenfalls mit Holzkohle betrieben. Im ersten Schritt ließ sich damit überflüssiger Kohlenstoff entfernen, wodurch die Luppe an Sprödigkeit verlor.
  • Allein durch Erfahrung erkannte der Schmied anhand der Glühfarbe der Luppe, wann es Zeit für den nächsten Schritt war – ein Temperaturbereich zwischen Verfestigung und vollständiger Verflüssigung des Eisens. In diesem Zustand ließ sich da Material auf einem Amboss weiterbearbeiten. Dieser bestand bei armen Schmieden aus Stein, bei reichen Schmieden ebenfalls aus Eisen.
  • Über Stunden hinweg wurde die Luppe nun ständig mit dem Hammer auf dem Amboss bearbeitet, wieder im Feuer erhitzt, erneut gehämmert und immer wieder gefaltet. In einem kräftezehrenden Prozess wurden dabei die Reste der Schlacke und Holzkohle herausgetrieben und das Material gleichzeitig verdichtet.

Am Ende dieser Prozedur hatte der Schmied einen Werkstoff erschaffen, mit dem es sich nun arbeiten ließ: Weicheisen.

Das allerdings war durch den Mangel an Kohlenstoff noch zu weich. Damit der Schmied daraus Werkzeuge herstellen konnte, musst er es erneut erhitzen und bearbeiten. Dadurch wurde wieder Kohlenstoff in das Material eingebracht – es entstand das vielleicht bedeutendste Metall der Menschheitsgeschichte: Stahl.

Damit konnte der Schmied zahlrieche Dinge anfertigen, die in der damaligen Gesellschaft wichtig waren: Nägel, Pflugscharen, Messer, Beile, Äxte, Sensen und viele andere Werkzeuge sowie eine große Bandbreite an Waffen. Tatsächlich war der Schmied deshalb bis zur Industrialisierung eines der wichtigsten Mitglieder der Gesellschaft, da er als einziger eine unglaubliche Vielfalt von dringend benötigten Gegenständen liefern konnte.

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