Kontinuierliche Weiterentwicklung über Jahrhunderte

In unserer globalisierten Welt werden die meisten Rohstoffe, Einzelteile oder fertige Produkte auf dem Wasserweg transportiert. Schiffe spielen in der internationalen Logistik für die Wirtschaft eine zentrale Rolle. Die hier eingesetzten Frachter bestehen zu großen Teilen aus Stahl, das den besonderen Anforderungen auf See gerecht werden muss. Seitdem Schiffe aus Stahl hergestellt werden, haben sich die Bereiche Konstruktion, Herstellungsverfahren und auch die Materialien selbst stetig weiterentwickelt.

Eine weltverändernde Erfindung in einer weltverändernden Epoche

Die Geschichte des Schiffbaus reicht mindestens 40.000 Jahre in die Vergangenheit. Doch von den ersten Einbäumen (bei denen der Name buchstäblich Programm war) über die Flotte des Kolumbus bis zu den großbauchigen Frachtern, die für den Handel mit Indien im Einsatz waren, wurden Schiffe aus Holz gefertigt. Metall kam höchstens als aufgenageltes Blech zum Schutz vor Bohrwürmern zum Einsatz.

Durch die lange Nutzung dieses Materials hatten Schiffbauer früher eine enorme Expertise darin entwickelt, die auf einem Traggerüst aus Spanten befestigten Planken so zu arrangieren, dass das Wasser optimal um sie herumfloss. Bis heute haben die so entwickelten Formen und Konstruktionsprinzipien ihre Gültigkeit und können in gewisser Weise auf Schiffe aus Stahl übertragen werden:

  • Ein Kiel dient als tragendes Rückgrat.
  • Die daran befestigten Quer- und Längsspanten bilden ein Gerippe.
  • Darauf werden Planken bzw. Tafeln befestigt, die den Rumpf bilden.

Eine der wenigen Ausnahmen sind GFK-Schiffe. Deren Rumpfbeplankung besteht aus einer einteiligen Glasfaserverbundhülle.

Als im Zeitalter der Entdeckungen (15. bis 18. Jahrhundert) die weltweiten Flottenstärken anstiegen, wurde regelrecht Raubbau an den Holzbeständen betrieben. Vor allem natürliches Krummholz für die Spanten wurde ein rares Gut. Nicht nur in Europa wurden sogar die meisten Urwälder (unter anderem) für den Schiffbau gerodet.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts nahm allerdings die Industrialisierung Fahrt auf. Dadurch war es erstmals möglich, Eisen- und (später) Stahlprodukte in großen Mengen herzustellen.

Eisenschiffe und Stahl-Klipper

Es waren die britischen Schiffbauer, die rasch Gebrauch davon machten. Schnell wurden Spanten aus Eisenmetall gefertigt, genauer gesagt aus Gusseisen. Die Planken bestanden jedoch noch im frühen 19. Jahrhundert ausschließlich aus Holz. Hauptgrund war Misstrauen:

Die meisten Holzarten schwimmen von selbst. Zwar verstanden damalige Schiffbauer bereits, dass ein eisenmetallbeplanktes Schiff allein durch die Formgebung schwimmen würde. Allerdings war die Furcht groß, dieser Auftrieb könnte bei Stürmen oder Lecks nicht genügen.

Es dauerte bis in die 1830er, bis sich Schiffbauer trauten, den Rumpf gänzlich aus Eisen zu fertigen. Dies allerdings hatte einen erheblichen Nachteil: Das Material war (und ist) spröde. Dadurch waren die möglichen Schiffgrößen limitiert. Wenn ein Schiff sich über die Wellen bewegt, biegt es sich durch. Starre, spröde Materialien limitieren daher die Rumpfgröße.

An diesem Punkt ist der Metallschiffbau eng mit der Weiterentwicklung von Eisenmetallen im 19. Jahrhundert verknüpft:

  • 1864 wurde das Siemens-Martin-Verfahren Es ermöglichte die industrielle Herstellung von hochwertigen Stählen, da sich der Kohlenstoffgehalt nun fein justieren ließ.
  • 1881 fertigte eine Glasgower Werft die Dreimastbark Carleton. Das erste stählerne (nicht eiserne) Schiff. Sie verdrängte 1.360 Tonnen, war aber noch ein vollwertiger Segler.
  • 1889 lief die SMS Oldenburg vom Stapel. Ein 5.250 Tonnen verdrängendes Panzerschiff. Es war nicht nur das erste deutsche Schiff in Ganzstahlbauweise, sondern eines der ersten, das ohne (Reserve-)Segel konstruiert wurde.
  • 1902 wurde mit der Preußen eines der größten und schnellsten Ganzstahl-Segelschiffe aller Zeiten 11.650 Tonnen verdrängte es und konnte mit den fünf Segelmasten fast 40 km/h (20,5 Knoten) erreichen.

Erst das Siemens-Martin-Verfahren ermöglichte die Großproduktion von Stählen, die wirklich für den Schiffbau geeignet waren. So, wie die Dampfmaschine Ende des 19. Jahrhunderts immer stärker das Segel ablöste, wurde Stahl zeitgleich zum vorherrschenden Schiffbaumaterial. Allerdings zeigten die nachfolgenden Jahrzehnte gleich mehrfach, wie viel Entwicklungspotenzial noch nötig – und möglich – war.

Als die Titanic sank

Die RMS Titanic, ein 53.147 Tonnen verdrängendes Ganzstahl-Passagierschiff, sank in der Nacht des 15. April 1912, nachdem sie einen Eisberg gerammt hatte.

Lange Zeit war nicht klar, wie groß die Gesamtfläche der Lecks überhaupt war. Immerhin war die Titanic mit Querschotts in 16 wasserdicht abtrennbare Abteilungen unterteilt und galt daher als sehr sicher (wenngleich es eine moderne Legende ist, dass man sie als „völlig unsinkbar“ bezeichnete).

1912 berechneten Schiffingenieure eine Leckgröße von nur 1,2 Quadratmetern, die sich als schmaler Spalt über die vordere Rumpfflanke zog. Selbst, nachdem das Wrack der Titanic 1985 entdeckt worden war, gab es keine neuen Aufschlüsse: Der Bug des mit 80 km/h auf den Meeresboden aufschlagenden Schiffvorderteils steckt zu tief im Schlamm, die Leckstellen sind nicht sichtbar.

1996 allerdings brachte eine weitere Expedition mit speziellen Sonargeräten Licht ins Dunkel: Es gibt kein durchgängiges, sondern sechs einzelne Lecks in Form schmaler Risse entlang der Nahtstellen benachbarter Rumpfplanken. Das stützt die Theorie, wonach die Titanic mehrfach gegen den Eisberg prallte.

Aber auch das eingesetzte Material spielte eine Rolle. Bis heute diskutieren Experten dazu mehrere Fragen, die direkt mit dem Stahl der Titanic verbunden sind:

  • Wurde der Stahl durch die Kälte des Meerwassers spröde, wodurch er schneller brechen konnte als bei wärmeren Wassertemperaturen? Diese Frage wurde durch geborgene Materialproben aufgeworfen. Allerdings lässt sich bislang nicht klären, ob sich das Metall erst in dieser Tiefe und damit extremem Druck und Kälte verändert hat.
  • Welche Auswirkungen hatte das Kaltstanzen der Nietlöcher in die Außenplanken? Schon damals galt das Verfahren nur als günstige Lösung, die jedoch rund um das Loch Mikrorisse im Stahlgefüge erzeugte. Ab zirka den 1920ern wurde deshalb zum (kostspieligeren) Bohren übergegangen.
  • Waren die über drei Millionen Nieten, die den Rumpf zusammenhielten aus ausreichend stabilem Material und sorgfältig verarbeitet? Zusammengenommen wogen sie allein über 1.200 Tonnen.

Nach heutigem Stand war die Titanic aus damals als hochwertig geltenden Stählen gefertigt. Da sich die Metallurgie jedoch noch in ihren Kinderschuhen befand, waren diese Stähle längst nicht so tauglich wie später entwickelte Legierungen – und das Material somit mutmaßlich teilweise am Untergang des Schiffes beteiligt.

Ob allerdings Schweißverbindungen besser standgehalten hätten, wird bis heute angezweifelt. Damals waren derartige Schweißverfahren noch ein absolutes Novum und wurden keinesfalls in entsprechend sicherheitsrelevanten Bereichen eingesetzt.

Gefragter Wrackstahl aus Scapa Flow

Nur sechseinhalb Jahre nach dem Untergang der Titanic endete der Erste Weltkrieg. Eine der Waffenstillstandsbedingungen für Deutschland war es, seine Hochseeflotte in der schottischen Bucht Scapa Flow zu internieren, bis ein endgültiger Waffenstillstand geschlossen war. Am 21. Juni 1919 kam es hier zu einer Handlung, die bislang einzigartig in der Seefahrtgeschichte ist: Als sich abzeichnete, dass die deutsche Regierung den Versailler Friedensvertrag unterzeichnen würde, verließen die verbliebenen Rest-Besatzungen die Schiffe – bei geöffneten Seeventilen.

74 Schiffe, vom kleinen Torpedoboot bis zum großen Kreuzer, wurden dadurch auf Grund gesetzt oder vollständig versenkt – damit sie dem Feind nicht in die Hände fallen konnten.

Primär mag dies aus politischen oder marinehistorischen Gründen interessant sein. Es ist jedoch auch eine Besonderheit rund um den Stahl im Schiffbau. Zwar wurden viele Wracks in den 1920ern und 1930ern gehoben. Andere liegen jedoch bis heute noch in der ehemaligen Marinebasis.

Zwischen 1945 und 1964 wurden 528 Atomwaffen oberirdisch gezündet – die meisten innerhalb der Erdatmosphäre. Dadurch wurde diese mit langlebigen, langsam absinkenden Spaltprodukten angereichert – mit besonderen Folgen: Sämtlicher bis zu diesem Zeitpunkt hergestellter Stahl wurde durch das Abregnen dieser Radionuklide „verschmutzt“. In der Folge kann er nicht mehr für hochpräzise Messinstrumente genutzt werden. Diese würden durch die leichte Hintergrundstrahlung beeinflusst.

Durch den extrem hohen Recycling-Grad von Stahl ist das bis heute ein Problem. Da Stahl immer wieder und wieder eingeschmolzen wird, befinden sich heute noch Millionen Tonnen im Umlauf, deren Bestandteile vor vielen Jahrzehnten erstmals aus Erz erzeugt wurden.

Hier kommen nun die Wracks von Scapa Flow ins Spiel: Unter Wasser waren sie vom Fallout abgeschirmt. Außerdem handelt es sich um Stahl brauchbarer Güte. Immer wieder wurden deshalb Schiffteile geborgen, um das Material für die Herstellung empfindlicher Messgeräte zu recyceln – bis die Wracks 1995 unter Denkmalschutz gestellt wurden. Die Fachwelt nennt das „Low-Background Steel“. Also Stahl mit niedriger Hintergrundstrahlung.

Liberty- und Victory-Schiffe: Atemberaubende Meisterwerke des Großserien-Stahlschiffbaus

In der ersten Hälfte des Zweiten Weltkriegs torpedierten deutsche U-Boote hunderte britische und amerikanische Transportschiffe. Dadurch sollte Großbritannien abgeschnitten werden. Ab 1940 wurde deshalb das Emergency Shipbuilding Program ins Leben gerufen – angestoßen von den Briten und Kanadiern und ausgeführt durch die wirtschaftlich leistungsstarken USA.

In nur vier Jahren bis Kriegsende entstanden so 5.777 hochseetaugliche Schiffe aus Stahl in fünf unterschiedlichen Baumustern. Zwei davon waren die aufeinanderfolgenden Baureihen namens Liberty und Victory.

Technisch handelte es sich um äußerst einfache Stückgutfrachter mit knapp 15.000 Tonnen Verdrängung. Tatsächlich ging die Rumpfform sogar auf eine Konstruktion von 1879 zurück. Obwohl längst Dampfturbinen das Maß des Schiffantriebs waren, wurden diese Frachter mit den viel einfacher herzustellenden Kolbendampfmaschinen gefertigt. Das mag nach einer simplen Notlösung anmuten. Aus Sicht des Stahlschiffbaus war es jedoch eine kluge Entscheidung, die weitere Entwicklungen antrieb:

  • Erstmalig wurden die Stahlteile im großen Stil verschweißt, statt vernietet. Das sparte enorme Materialmengen und die Herstellungszeit war deutlich kürzer.
  • Im Eilverfahren wurden in den USA 18 brandneue Werften mit 171 Hellingen aus dem Boden gestampft.
  • Die gesamte Schiffskonstruktion war von der Formgebung bis zu sämtlichen Ausstattungsdetails auf einfachste Herstellbarkeit ausgelegt. Tausende Zulieferer waren daran beteiligt.
  • Die Fertigung wurde immer weiter optimiert. In der Praxis wurden deshalb vorgefertigte Baugruppen auf die Werften geliefert, die nur noch zusammengesetzt werden mussten.

Das erste Liberty-Schiff, die SS Patrick Henry, brauchte 1941 noch 244 Tage bis zur Fertigstellung. Als sich die gigantische Fließbandproduktion jedoch eingespielt hatte, liefen Liberty- und Victory-Schiffe mit einem Tempo vom Stapel, das bis heute unwirklich anmutet: 1943 dauerte es von der Kiellegung bis zum Stapellauf durchschnittlich nur noch 41 Tage. Zum Vergleich: An der Titanic wurde drei Jahre lang gebaut; bei modernen Frachtschiffen sind es heute neun Monate bis zwei Jahre.

Die 1942 vom Stapel gelassene SS Robert E. Peary wurde als Publicity Stunt zur Werbung für den Kauf von Kriegsanleihen sogar in unglaublichen 4 Tagen, 15 Stunden und 29 Minuten gebaut – für ein komplettes Schiff von der Kiellegung bis zur Installation von Schraube und Toplicht.

Allein 2.710 Liberty- und 534 Victory-Schiffe wurden auf diese Weise fertiggestellt – wodurch die deutschen U-Boot-Anstrengungen schlichtweg überrollt wurden. Allerdings ist dies auch in Bezug auf den Schiffsstahl interessant, denn der Großserienbau hatte seine Tücken:

Es wurden die günstigsten und schnellsten Stahlerzeugungsverfahren eingesetzt (namentlich Thomas- und Bessemer-Verfahren, die noch vor dem Siemens-Martin-Verfahren von 1867 aufgekommen waren). Sie hatten einen hohen Stickstoffeintrag zur Folge. Dadurch wurden die Stahlplanken an den Schweißnähten spröde. Besonders bei Kälte war dies problematisch. Hinzu kam, dass kriegsbedingt viele Schiffe grob überladen wurden, um möglichst viel Material zu befördern (ein Liberty-Schiff konnte standardmäßig bis zu 2.840 Jeeps befördern).

Zwölf Schiffe des Emergency Shipbuilding Program zerbrachen deshalb während des Krieges unvermittelt und sanken. Nach dem Krieg, als die Schiffe in verschiedensten Ländern einen neuen Grundstock für die Handelsmarinen bildeten, verschärfte sich das Problem nochmals – die Grundkonstruktion war explizit nur für eine fünfjährige Lebensdauer gedacht.

Erst 1949 wurde das bis heute maßgebliche Linz-Donawitz-Stahlverfahren ersonnen. Nur dadurch ist die Herstellung von Stahl möglich, der sich schweißen lässt, ohne seine Zähigkeit zu reduzieren. Das ist bis heute das Maß aller Dinge – praktisch alle der 90.000 Schiffe auf den Weltmeeren bestehen aus entsprechend hergestelltem Stahl und werden auf ähnliche Weisen verschweißt, wie es bei den Liberty- und Victory-Schiffen begonnen wurde.

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