Scharfer Stahl

Die Metallverarbeitung hat in Solingen eine geschichtsträchtige Tradition. Bereits im 13. Jahrhundert wurden hier Messer und Schwerter geschmiedet – und daran hat sich in der Klingenstadt bis heute nichts geändert. Die Herkunftsangabe „Solingen“ ist seit 1938 sogar gesetzlich geschützt gilt weltweit als ein Zeichen für Messer und Klingen in höchster Qualität. Eine Erfolgsgeschichte, die sich ohne hochwertigen Messerstahl wohl nicht verwirklicht hätte.

Was das Material anbelangt, haben sich im Laufe der Zeit jedoch die technischen Möglichkeiten immer weiter verbessert. Mit der gezielten Auswahl einer passenden Legierung lassen sich Klingen mit ganz bestimmten Eigenschaften herstellen. Neben wenigen handwerklichen Betrieben werden Messer und Klingen heute vielfach in industrieller Produktion hergestellt.

„Messerstahl“: Stähle für die Klingenschmiede

Der Begriff Messerstahl bezeichnet keine konkrete Stahlsorte, sondern eine ganze Bandbreite von Stählen, die in der Klingenproduktion Anwendungen finden. Jeden dieser Stähle zeichnen besondere Eigenschaften aus, die in ganz unterschiedlichen Gebrauchssituationen zum Tragen kommen.

Den einen perfekten Messerstahl gibt es somit nicht. Welche Legierung sich am besten eignet, um eine Klinge zu fertigen, hängt also immer von den spezifischen Anforderungen ab, die das jeweilige Messer erfüllen muss.

Die wichtigsten Eigenschaften von Messerstahl

Stahl ist ein unglaublich wandelbares Material. Denn seine Eigenschaften sind durch den Einsatz gewisser Legierungselemente, Herstellungsverfahren und Behandlungen äußerst variabel und ganz nach Bedarf optimierbar.

Doch es gibt Grenzen. Denn bei Stahl sind manche Materialeigenschaften immer stärker ausgeprägt als andere. In anderen Worten: Wird das Material auf eine Eigenschaft hin optimiert, büßt eine andere Qualität in der Regel etwas ein. Bei der Stahlauswahl für die Klingenproduktion gilt es den perfekten Kompromiss zu finden.

Folgende Qualitäten sind für Messerstahl besonders wichtig:

  • Die Härte wird meist in der Einheit Härte nach Rockwell (HRC) ausgedrückt und liegt bei Messerstahl in der Regel zwischen 52 und 66 HRC. Je härter der Stahl ist, desto schärfer kann die Klinge geschliffen werden und desto länger bleibt sie scharf. Dies hat aber auch Nachteile: Klingen mit hohem Härtegrad sind beispielsweise empfindlicher, da ihre Schneide sehr dünn, unflexibler und spröder ist.
  • Die Festigkeit beschreibt, wie belastbar eine Klinge ist. Wichtigste Aspekte sind hierbei etwa die Zähigkeit und die Elastizität. Mit einer höheren Festigkeit sinkt das grundsätzlich das Risiko, dass die Klinge durch Krafteinwirkungen Risse bekommt, bricht oder sich dauerhaft verformt. Entscheidend sind dabei vor allem zwei Faktoren: das Härtungsgefüge (der sogenannte Martensit) und die Feinkörnigkeit der im Stahl enthaltenen Carbide.
  • Die Korrosionsbeständigkeit definiert, wie widerstandsfähig ein Stahl gegen Korrosion beziehungsweise Rost ist. Eine Eigenschaft, die vor allem dann von Bedeutung ist, wenn Messer oder Klingen über längere Zeit mit Feuchtigkeit in Kontakt kommen oder maschinell gespült werden sollen.
  • Die Schärfbarkeit drückt aus, wie leicht und fein eine Klinge angeschliffen werden kann. Grundsätzlich zeichnen sich harte Stähle, wie zum Beispiel Kohlenstoffstähle, durch eine bessere Schärfbarkeit aus als weiche Stähle.
  • Die Schnitthaltigkeit (auch Schneidhaltigkeit) bezieht sich auf den Widerstand einer Messerschneide gegen Abnutzungen durch mechanische, chemische und thermische Einflüsse. Sie gibt also wieder, wie lange eine Klinge unter bestimmten Einsatzbedingungen scharf bleibt.

Legierungselemente und ihre Eigenschaften

Kohlenstoff (C) ist neben Eisen (Fe) ein Grundbestandteil von Stahl. Sein Anteil an der Masse beträgt jedoch maximal 2,06 Prozent (bei höheren Anteilen handelt es sich nicht mehr um Stahl, sondern um Gusseisen). In der Klingenproduktion liegt der Kohlenstoffanteil in der Regel jedoch deutlich geringer, meist sogar unter einem Prozent.

Dennoch ist Kohlenstoff, beziehungsweise Carbon, der entscheidende Faktor für den Härtegrad einer Klinge. Zudem verbessert Kohlenstoff auch die Zug- und Verschleißfestigkeit sowie die Schnitthaltigkeit. Die Dehnbarkeit und Flexibilität nehmen bei höheren Kohlenstoffanteilen hingegen ab.

Über die Grundbestandteile hinaus werden den Messerstählen häufig noch weitere Elemente hinzulegiert, um die Gebrauchseigenschaften des Endprodukts oder die Verarbeitbarkeit des Werkstoffs für die Klingen zu verbessern.

Typische Bestandteile dieser Legierungen sind:

  • Chrom (Cr) dient vor allem dazu, den Messerstahl vor Korrosion, also Rost, zu schützen. Der Chromanteil muss dafür mindestens 13 Prozent betragen. Zudem erhöhen sich mit der Zugabe von Chrom die Schnitthaltigkeit sowie die Zug- und Verschleißfestigkeit der Klinge. Zugleich mindert Chrom aber die Schärfe, die Dehnbarkeit und Flexibilität. Ein zu hoher Anteil des Elements macht Klingen spröde.
  • Vanadium (V) kommt in Legierungen für Messerstahl vor allem zum Einsatz, um die Härte und Schnitthaltigkeit von Klingen zu verbessern. Es erhöht die Verschleißfestigkeit sowie die Zähigkeit und verhindert darüber hinaus, dass andere Elemente im Stahlgefüge zusammenballen.
  • Molybdän (Mo) ist ein besonders hartes Metall und trägt somit schon in geringen Mengen stark zur Härte von Metallklingen bei. Es erhöht die Zug- sowie Biegefestigkeit und wirkt sich positiv auf die Verarbeitungseigenschaften von Stahl aus. Häufig wird Molybdän mit Chrom kombiniert. Der Stoff ist ebenfalls antikorrosiv.
  • Silizium (Si) steigert die Härte und Festigkeit von Stahl und kommt oftmals zur Anwendung, um überschüssigen Sauerstoff freizusetzen. Es ist sowohl in den meisten rost- als auch nicht rostbeständigen Legierungen in geringen Mengen vorhanden.

Seltener als Legierungselement zum Einsatz kommen:

  • Nickel (Ni) ist korrosionsbeständig und erhöht die Zähigkeit von Stahl. Es wird in Messerstählen aber meist nur in Spuren eingesetzt, da es die Härtbarkeit mindert.
  • Stickstoff (N) verbessert die Korrosionsbeständigkeit, wirkt sich aber genau wie Nickel negativ auf die Zähigkeit aus – beides bereits in sehr geringen Mengen.
  • Wolfram (W) bildet ebenso wie Chrom und Vanadium sogenannte Karbide. Dadurch erhöht es die Härte, Schnitthaltigkeit und Festigkeit.
  • Kobalt (Co) erhöht die Härte, ohne Karbide zu bilden.
  • Mangan erhöht die Härte und Verschleißfestigkeit von Stahl, lässt Sauerstoffeinschlüsse bei der Schmelze entweichen und mindert die schadhafte Wirkung von Schwefel – deshalb wird es oft als „Gegenmittel“ eingesetzt.

Legierungsbestandteile, die als Verunreinigungen gelten:

  • Schwefel (S) kommt zwar in fast allen Messerstählen vor, ist dabei aber unerwünscht, da er die Zähigkeit verringert. Der Anteil sollte daher sehr niedrig, am besten unter 0,04 Prozent liegen.
  • Phosphor (P) tritt oft als Begleitelement von Eisen auf. Es gilt jedoch als Verunreinigung, da es Stahl spröde macht und zu Rissen führen kann. Wie bei Schwefel sollte der Anteil so gering wie möglich liegen.

Messer(stähle) im internationalen Vergleich

Deutschland ist nicht das einzige Land, das über eine traditionsreiche und starke Messerindustrie verfügt. Sehr hochwertige Messer werden beispielsweise auch in Japan oder den USA hergestellt. Die Endprodukte unterscheiden sich in ihren Eigenschaften jedoch stark, was nicht zuletzt auf die unterschiedliche Wahl des Messerstahls zurückzuführen ist.

Deutsche Messer – korrosionsbeständiger Chromstahl

Einer der typischen Klingenstähle der deutschen Messerindustrie ist der X46Cr13, auch bekannt als Schwedenstahl (Werkstoffnummer 1.4034). Dabei handelt es sich um einen martensitischen Chromstahl, der 0,46 Prozent Kohlenstoff sowie 13 Prozent Chrom enthält. Der Stahl ist somit korrosionsbeständig und wird in der Industrie mit Härten von zwischen 50 und 56 HRC eingesetzt.

Ebenfalls weit verbreitet ist der Stahl X45CrMoV15 bzw. X50CrMoV15 (Werkstoffnummer 1.4116). Dieser ist ein martensitischer rostfreier Stahl mit Anteilen von Kohlenstoff (0,45 bis 0,55 Prozent), Chrom (14 bis 15 Prozent Chrom), Molybdän (0,5 bis 0,8 Prozent) und Vanadium (0,1 bis 0,2 Prozent). Auch dieser wird mit Härten von 50 bis 56 HRC eingesetzt. Das Zulegieren von Molybdän hat zum Ziel, die Beständigkeit gegen Lochfraß, etwa durch Spülmaschinenreinigung, zu erhöhen.

Amerikanische Messer – verschleißfester pulvermetallurgischer Stahl

In den USA kommen in der Messerproduktion sehr häufig pulvermetallurgische Stähle (PM-Stähle) zum Einsatz, die sich vor allem durch ihre Verschleißfestigkeit auszeichnen.

Pulvermetallurgischer Stahl (PM-Stahl)

Für die Herstellung von PM-Stahl werden die Legierungsbestandteile zunächst zu einem Pulver verarbeitet und anschließend hochisostatisch gepresst. Dadurch wird eine sehr gleichmäßige Stahlstruktur mit nur wenigen Lufteinschlüssen erzielt.

Ein Beispiel dafür ist etwa die Legierung CPM S30V. Abgesehen von einem hohen Anteil an Kohlenstoff (1,45 Prozent) enthalt sie Chrom (14 Prozent), Vanadium (4 Prozent) und Molybdän (2 Prozent). Demnach handelt sich um einen hochlegierten und korrosionsbeständigen Stahl. Klingen aus diesem Material sind mit 57 bis 59 HRC härter als die meisten deutschen Exemplare – sie sind allerdings spröde und nur schwer zu schärfen.

Japanische Messer – Kohlenstoffstahl für die besondere Schärfe

Die typischen japanischen Messerstähle sind Shirogami („weißer Papierstahl“) und Aogami („blauer Papierstahl“) – beide sind nach ihrem Verpackungspapier benannt. Kennzeichnend für die beiden Stähle ist ein Kohlenstoffanteil von mehr als einem Prozent. ihr Potential für eine besonders hohe Schärfe sowie ihre gute Schärfbarkeit und Schnitthaltigkeit. Bei entsprechender Wärmebehandlung können die Stähle auf einen Schneidewinkel von 15 bis 25° geschliffen werden. Beide Stähle enthalten kein Chrom und sind dadurch nicht korrosionsbeständig.

Aogami ist ein niedrig legierter Kohlenstoffstahl. Neben Kohlenstoff (1,2 Prozent) enthält der weiße Papierstahl Wolfram (1,1 Prozent), geringe Mengen Chrom (0,3 Prozent), Silizium (0,1 Prozent), Mangan (0,2 Prozent) sowie Spuren von Phosphor und Schwefel. Seine Härte liegt sehr hoch bei zwischen 64 und 66 HRC. Typisch für Messer aus diesem Stahl sind eine sehr hohe Schärfe, die leichte Schärfbarkeit und hohe Schnitthaltigkeit. Aufgrund Wolfram ist Aogami verschleißfester als Shirogami.

Shirogami ist hingegen ein unlegierter Kohlenstoffstahl. Abgesehen von Kohlenstoff (1,1 bis 1,2 Prozent) sind in diesem geringe Mengen Silizium (0,1 bis 0,2 Prozent), Phosphor und Schwefel zu finden. Die Gebrauchshärte liegt bei zwischen 62 und 65 HRC. Auch die Messer aus Shirogami sind sehr scharf, leicht schärfbar und schneidhaltig.

Japanische Messer werden übrigens häufig auch aus mehreren Schichten laminiert. Dadurch wird eine sehr gute Härte und Zähigkeit erzielt, wodurch die empfindlichen Klingen weniger leicht brechen.

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